Chirotherium -
das rätselhafte Wesen aus dem Buntsandstein

Erste Funde
Erste Forschungen
Eine paläobiologische Studie
Die erste Bestätigungen
Neue Beweise
Resumee
 

 
Die Erforschungsgeschichte des unteren Abschnitts der Germanischen Trias, des Buntsandsteins, ist eng verbunden mit dem Namen eines Tieres, von dem lange Zeit die genaue Gestalt, die Größe und die Lebensweise nicht bekannt waren, dem Chirotherium oder "Handtier". Heute, schon bald 200 Jahre nach den ersten Funden, scheint das Rätsel langsam gelöst zu werden und das Tier nimmt Gestalt an.
 
 

Erste Funde

Bereits 1813 fanden Steinbrucharbeiter in den Sandsteinbrüchen von Corn-cockle-Muir in Dumfrieshire (Schottland) tierfährtenähnliche Abdrücke auf Sandsteinplatten. Einige Abdrücke wurden 1827 von GRIERSON und DUNCAN gesammelt und Prof. W. BUCKLAND in Oxford vorgelegt, der Sie als Fährten von Landschildkröten deutete. 1824 im "bunten Sandstein" von Tarporley in Cheshire (England) gefundene Fährten blieben noch einige Zeit ohne Bestimmung.
 
Im Frühjahr 1833, 20 Jahre nach den ersten Funden, machte der Gymnasialdirektor und Konsistorialrat F. K. L. SICKLER aus Hildburghausen in Thüringen in den Bausteinen zu seinem Gartenhaus die wichtigsten und für Deutschland ersten Fährtenfunde. In den von Heßberg bei Hildburghausen stammenden Sandsteinplatten aus dem unteren Teil des sogenannten Thüringer Bausandsteins fand SICKLER zusammen mit seinem Freund, dem Kupferstecher BARTH, zahlreiche gut erhaltene Ausgüsse von Trittsiegeln eines unbekannten und offenbar sehr großen Tieres. In einem Sendschreiben an Prof. Dr. J. F. BLUMENBACH beschrieb SICKLER 1834 diese Fährten erstmals. Ein Teil der Fährten wurde an Prof. KAUP in Darmstadt zur Bestimmung geschickt, der es 1835 Chirotherium (= griechisch Handtier) taufte.
 
Mit den Fährten gefundene Knochen, die Prof. Fr. S. VOIGT aus Jena in einem Artikel im Neuen Jahrbuch für Mineralogie, Geognostie, Geologie und Petrefaktenkunde von 1835 erwähnt, wurden von den Findern wenig beachtet und sind nicht überliefert. Ein dramatischer Verlust für die Wissenschaft.
 
 
Bild 1: Eine der Sandsteinplatten aus dem Steinbruch von Heßberg bei Hildburghausen. Lithografie des Hofmalers und Zeichenlehrers KESSLER in SICKLERs Sendschreiben von 1834. Die Platte zeigt Fährten von Chirotherium barthii (große Fährten rechts) und Chirotherium sickleri (kleinere Fährten links).
 
Vom deutschen Originalfundort gelangten Fährtenplatten in alle Welt. In einer zweiten Schrift von 1836 führt SICKLER die naturhistorischen Museen auf, die bereits Fundstücke von Heßberg erhalten hatten. Darunter sind Berlin, Darmstadt, Göttingen, Gotha, Prag, London und Paris.
 
 

Erste Forschungen

Erste Autoren ordneten diese Tiere drei verschiedenen Klassen der Wirbeltiere zu, den Amphibien, den Reptilien und den Säugetieren. Nicht weniger als zehn Tierarten glaubte man in den Fährten zu erkennen: Verschiedenste Arten von Urweltaffen, Beuteltiere, riesige, ausgestorbene Schildkröten, eidechsenähnliche Tiere.
 
Prof. KAUP sah 1835 in den Fährten die Spuren eines Affen oder Beuteltiers, behielt sich aber die Umwandlung des Namens in Chirosaurus vor, falls dieses Tier ein Kriechtier oder Lurch gewesen sein sollte.
 
Prof. Fr. S. VOIGT sah 1835 in den Chirotherienfährten die Spuren eines kollossalen Affens, eines Palaeopithecus. Später deutete VOIGT eine große Fußfährte, an der der sogenannte Daumen fehlte, als Fährte eines Bären, vielleicht sogar des berühmten Ursus spelaeus selbst. Kleinere Fährten, SICKLERs Chirotherium minus, ordnete er dem Mandrill zu.
 
Auf Grund der erstmals beobachteten Hautskulptur an Funden aus dem Oberen Buntsandstein von St. Valbert in Frankreich schließt A. DAUBREE 1857 ebenfalls auf Säugetiere.
 
Die Deutung als Säugetierfährten wird jedoch schon bald aufgegeben. Die allgemeine Meinung ging damals schon mehr in Richtung Amphibien als Erzeuger der umstrittenen Fährten. Nachdem LINK sich 1835 für Batrachier oder Saurier ausgesprochen hatte, nahm Prof. R. OWEN 1841 Labyrinthodonten als Fährtenerzeuger an und gab damit den Chirotherienfährten eine Deutung, an der viele Paläontologen lange Zeit festhielten. Er kombinierte bekannte Knochenfunde von Amphibien aus englischen Buntsandstein- Schichten mit den Fährtenfunden zu einer ersten Rekonstruktion in Form eines Riesenlurchs, die der englische Geologe und Paläontologe Sir C. LYELL 1851 präsentierte.
 
 
Bild 2: Erste Rekonstruktion des Chriotheriums von Prof. Dr. R. OWEN als Labyrinthodont.
 
 

Eine paläobiologische Studie

Zu Anfang diese Jahrhunderts herrschte noch keine Einigkeit über eine klare Deutung der in Europa gefundenen Chirotherienfährten, bis Prof. W. SOERGEL von der Universität Tübingen im Jahre 1925 mit einer paläobiologischen Studie neue Wege beschritt. Er beobachte an möglichst vielen gefundenen Fährten Details und verglich diese mit bekannten Landwirbeltieren. Er versuchte so das Leben der Chirotheria nicht nur zu entwerfen, sondern Art, Gestalt und Lebensweise aufzubauen, um somit die entwicklungsgeschichtliche Stellung dieser Handtiere zu sichern.
 
SOERGEL sieht in den Fährtenerzeugern schlanke, hochbeinige Tiere. Sie müssen mehreren Arten von bis zu acht Meter Länge angehört haben. Markante Merkmale des Körperbaus waren kurze Vorderbeine und wesentlich kräftigere, längere Hinterbeine. Letztere ermöglichten es dem Chirotherium sich bei schnellerem Lauf auf zu richten und nur auf den Hinterbeinen biped fort zu bewegen. Die Beine befanden sich unter dem Körper. Der Ausbalancierung des Körpers diente ein langer, kräftig ausgebildeter Schwanz.
 
 
Bild 3: Rekonstruktion des Chirotheriums durch Prof. W. SOERGEL.
 
Auf Grund der stark bekrallten Pfoten kann als sicher angenommen werden, dass es sich um räuberisch lebende Fleischfresser gehandelt hat, die sich von kleineren Reptilien oder Amphibien ernährt haben. Die Co-Existenz dieser verschiedenen Arten ist wiederholt durch Fährtenfunde belegt. Der so genannte "Daumen" an den Hinterfußfährten deutet auf eine kletternde Lebensweise, die sie vermutlich von kleineren, baumbewohnenden Vorfahren geerbt haben. Der Hauptlebensraum der Chirotheria dürften nicht die ausgetrockneten oder sandigen Gebiete im Beckeninneren gewesen sein, sondern die gebirgigen Regionen am Rand des Buntsandstein-Beckens.
 
SOERGEL kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Chirotherien nur um Reptilien gehandelt haben könne und ordnete sie den Pseudosuchiern, hochbeinigen Scheinkrokodilen aus der Ordnung der Thecodontier, zu.
 
 

Die erste Bestätigungen

Ausgrabungen in den 30er Jahren der 20. Jahrhunderts am Monte San Giorgio im Tessin (Schweiz) scheinen die längst von der Wissenschaft akzeptierten Vorstellungen SOERGELs zu bestätigen. Ein am 7. August 1933 in marinen Schichten der Mittleren Trias gefundenes und erst 1948 präpariertes Skelett wird einem rauisuchiden Pseudosuchier zugeschrieben, der 1965 den Namen Ticinosuchus ferox erhielt. Es handelte sich um das Skelett eines Land bewohnenden Tieres. Die nach dem Fossil erstellte Rekonstruktionszeichnung von Prof. Dr. B. KREBS zeigt deutliche Ähnlichkeiten mit der hyopthetischen Rekonstruktionszeichnung von Prof. W. SOERGEL. Auch die Rekonstuktion der Fußskelette von Ticinosuchus ferox zeigt, das dieses Tier als Erzeuger von Chirotherienfährten in Betracht kommt wenn nicht sogar einer der Erzeuger ist.
 
 
Bild 4: Rekonstruktion von Ticinosuchus ferox durch Prof. Dr. B. Krebs.
 
Auch auf einer Expedition nach Südbrasilien von Freiherr von HUENE in den Jahren 1927 bis 1929 gefundene Skelett-Teile eines Pseudosuchiers, der später den Namen Prestosuchus chiniquensis erhielt, stimmen mit dem Denkmodell SOERGELs sehr gut überein.
 
 

Neue Beweise

1990 im Rötquarzit des Oberen Buntsandsteins im Südschwarzwald gefundene Knochen dürften entgültig den Beweis geliefert haben, dass Rauisuchier die Erzeuger der Chirotherienfährten sind. Die Stücke sind zur Zeit Bei Dr. R. WILD in Stuttgart in Bearbeitung. Erste Ergebnisse deuten auf Ähnlichkeiten mit Ctenosauriscus aus dem Buntsandstein des Bremketales bei Göttingen, von dem bislang nur die Wirbelsäule bekannt ist.
 
Ist Ctenosauriscus koeneni der Erzeuger von Chirotherienfährten? Für die kleineren Fährten des Typs Chirotherium sickleri kommt Ctenosauriscus von der Größe her in Frage. Dr. F.-O. HADERER hat basierend auf der Wirbelsäule von Ctenosauriscus 1998 ein Tier rekonstruiert, das ebenfalls mit den Vorstellungen SOERGELs überein stimmt. Markant ist bei Ctenosauriscus ein hohes Rückensegel der extrem verlängerten Dornfortsätze der Rückenwirbel.
 
 
Bild 5: Rekonstruktion des Erzeugers der Fährten von Chirotherium sickleri durch Dr. F.-O. HADERER basierend auf Ctenosauriscus koeneni.
 
Ob größere Chirotherien ebenfalls ein solches Rückensegel besaßen ist fraglich. Mit Sicherheit haben mehrere Gattungen von Pseudosuchiern Fährten erzeugt, die heute der Fährtengattung Chirotherium zugeordnet werden.
 
 

Resumee

Nach rund 200 Jahren Chirotherien-Forschung deutet sich eine Lösung des Chirotherien-Problems an. Noch nicht alle Fährten erzeugenden Tiere sind identifiziert, doch ein Anfang ist gemacht.
 
Heute sind 35 Arten von Chirotherien-Fährten bekannt, nicht nur aus dem Buntsandstein im Sinne der Germanischen Trias, sondern auch aus vergleichbaren Formationen der Unteren bis Oberen Trias weltweit. Fundorte liegen in Europa (Deutschland, England, Frankreich, Spanien), Nordafrika sowie Nord- und Südamerika.
 

 
© 2001 by Ralf Scheinpflug, Lohr · Stand: 04. Jan. 2002